Das Welt- und Selbsterleben eines 11-jährigen findet sich im Fächerkanon der 5. Klasse entsprechend wieder. Dieses Schuljahr ist meist von einer großen Geschmeidigkeit und Harmonie geprägt, steht es doch zwischen dem konsolidierenden Fundament der Grundschulzeit und der schon wetterleuchtenden Pubertät darinnen. Als ein zu-sich-selbst-gefundener Teil steht das Kind inmitten der Welt. Es kann diese als Gegenüber gelassen, jedoch mit feinsinniger Empfindung auf sich wirken lassen. Das Geflecht der Beziehungen in Allem rückt ins Bewusstsein. Es ist nicht mehr die Kraft, sondern die Schönheit und Stimmigkeit, die beeindruckt.
Die Gemeinschaft wird nicht mehr als eine Zusammenfügung einzelner dominierender Teile erlebt, sondern von der anderen Seite: Als ein „Wir“. Der Einzelne gewinnt seine Stellung nicht durch seine individuelle Ausgeprägtheit, sondern durch den Stellenwert seiner Fähigkeiten in der Gruppe. Erste gleichwertige Überblicke über größere Abschnitte in Raum und Zeit können nun gelingen.
Auf dem Gebiet der Erdkunde ist es der Überblick über größere Landschaften Mitteleuropas. Erlebbar in seiner ganzen Fülle und Gegensätzlichkeit von Meer und Gebirge, Klimaeingebundenheit und deren Wirkungen auf die Pflanzen- und Tierarten. Ja, wie lebt man da mit den gegebenen Voraussetzungen der Erde, des Wassers und der Sonnenverhältnisse? Wie gestalten sich der entsprechende Menschenschlag und die sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen daraus? Was geschieht in der Begegnung der Gegensätze? Nun kann auch der Atlas eingesetzt werden, um das Gelernte zu suchen und durch Malen und Studieren zu vertiefen.
In der ersten Geschichte sind es nun nicht mehr nur einzelne Menschenpersönlichkeiten in ihrem erlebten Schicksal, sondern ganze Zeitepochen werden betrachtet: Die alten orientalischen Kulturen mit ihren spezifischen Stimmungen, Gepräge und Leistungen für die Menschheit. Menschenschicksale wirken darin wie konturgebende Gestalten (von Buddha bis Alexander dem Großen). Wie greift eine Kultur die vorangehende auf? Was lebt bei uns noch von ihnen? Herrlich, wenn auch die fremdländischen alten Sprachen gesprochen werden! Die ersten demokratischen Versuche – erlebt man sie nicht jeden Tag mit den Fünftklässlern?
Dasselbe Thema in die Grammatik übersetzt, bedeutet: „Was empfange ich von anderen, was vollbringe ich selber? Wo tue ich aktiv etwas, wo erleide ich es passiv mich ergebend? Wo spreche ich Eigenes, wo übernehme ich eine fremde Meinung? Die Arbeit an der Sprache schult somit unausgesprochen die Genauigkeit der Wiedergabe. Wo ein Subjekt gerade steht, in welchem Verhältnis zu anderen, behandeln die vier Fälle.
Die neu als Fach hinzukommende Pflanzenkunde gibt Orientierung über die niederen Pflanzen von Pilzen, Schwämmen, Flechten, Moosen, Farnen , Schachtelhalm, Nadelbäumen und die Blühpflanzen der Streifen- und Netzblättler, stets im Zusammenhang mit den Erdverhältnissen und Lebensbedingungen. Es bedarf der Feinfühligkeit eines Fünftklässlers, um in die zarten Unterschiede lebhaft eindringen zu können.
Die Geometrie lässt freihändig alle Verwandtschaftsverhältnisse der geometrischen Formen erleben, die durch das Formenzeichnen der vergangenen Jahre künstlerisch geübt wurden. Innerlich können die Kinder jetzt die Familie der Drei- und Vierecke schrittweise variieren und dadurch ihr Empfindungs- und Vorstellungsvermögen, wie auch die Schönheit am Raum schulen. Die Fünftklässler erleben sich im Übergang vom Tun zum gedanklichen Durchdringen einer Sache.
Was auf dem Gebiet der Mathematik in der 4. Klasse begonnen wurde, wird bis zum Dezimalbruch erweitert. So wie ein Bruch immer eine Beziehung von Einem zum Anderen ist, so benötigt diese Rechenart ebenfalls die Fähigkeit des einerseits Beibehaltenkönnens eines Beziehungspunktes, aber auch eines daheraus regelgerechten Gliedernkönnens. Im Sozialen ist das die Ebene zwischen ICH und WIR.
Vergleiche durch inneres Abwägen, Abschätzen, zielsicheres Urteilen sind es, die im Pythagoräischen Lehrsatz zum Höhepunkt gelangen. So kommt immer das Dazwischenliegende, das Verbindende ins Erleben und wird in allen Fächern trainiert (ein „Muskeltraining“ der besonderen Art)!
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Ist es da noch verwunderlich, dass dieses Training der Beziehungen anmutig im Turnen und der Eurythmie fortgesetzt wird? In der Eurythmie mehr in Anlehnung an die Geometrie und Geschichte (Fünfsternübungen, Erarbeiten von fremdländischen Dichtungen), das Turnen vertieft mehr das antike Ideal der griechischen Olympiade durch Laufen, Springen, Kämpfen, Werfen.…: Das Einsetzen der vollen Kraft des Einzelnen für die Gruppe. Im Verbund mit mehreren Waldorfschulen (Mannheim, Frankenthal, …) eine festliche Gelegenheit für Kinder, Eltern, Lehrer!
Wie sich eine einzelne Masche in den harmonischen Bund einer sich schließenden Runde hineinstellt, bei der jede einzelne von existenzieller Wichtigkeit ist, erleben die Schüler hautnah am Stricken von Strümpfen. Vorher werden hier die tatsächlich gegebenen Maßverhältnisse der Füße abgenommen.
Das Gefüge der Tonarten in der Musik legt die ganze Klaviatur frei, in der die kindliche Seele nun spielen möchte, mal in mehr aktiv freudigem Erleben, später mehr in gefühlstiefem Erleiden. Mit seinem Instrument kann man nun auf Basis freiwilliger Projekte im „großen“ Orchester mitwirken.
Die Sprachen versuchen sich in die andersartigen, sprichwörtlichen oder redensartigen Schätze einzuleben, in Relation zur alltäglich gebräuchlichen Handhabung im Deutschen.